Während die Parteien in Deutschland über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) noch diskutieren, wird in anderen europäischen Ländern darüber bereits auf Staatsebene verhandelt: 2016 ließ die Schweiz in einem Referendum über das BGE abstimmen, Finnland testet seit 2017 mit 2.000 Bürgerinnen und Bürgern ein partielles BGE, das Kranken-, Arbeitslosen- und Elterngeld abdecken soll. Auch die Bundesrepublik sollte diesen Schritt wagen, findet Prof. Dr. Karl Justus Bernhard Neumärker von der Universität Freiburg: „Wenn es sich ein Land leisten kann, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen, dann ist das Deutschland. Unser Staat verfügt über ein großes Vermögen sowie einen ineffizient teuren Sozialstaat, der gut zur Gegenfinanzierung herangezogen werden könnte, und wir haben mit der Idee der sozialen Marktwirtschaft zumindest schon einmal die richtige gedankliche Grundlage dafür."
Neumärker glaubt, dass das BGE eine echte Chance hätte. Mehr noch als das – es wäre eine mögliche Lösung für Herausforderungen der Zukunft wie die zunehmende Digitalisierung und Robotisierung, die den Arbeitsmarkt gravierend verändern werden: „Es ist unrealistisch, dass wir die vielen arbeitslos gewordenen Menschen mit genügend neuen Stellen versorgen könnten. Schließlich geht es beim Einsatz humanoider Roboter darum, die Arbeitskraft des Menschen zu ersetzen und nicht darum – wie in der ersten digitalen Welle –, ihm die Arbeit zu erleichtern." Entsprechend müsse sich die Sozialpolitik der sozialen Marktwirtschaft neu ausrichten.
Das BGE könnte einen Grundstein für Gerechtigkeit und sozialen Frieden legen und beide dauerhaft sichern. In den Augen des Wissenschaftlers ist es ein Modell für Menschenwürde: „Damit könnte man zum Beispiel Leute, die im Niedriglohnsektor arbeiten, nicht mehr ausbeuten. Wenn der Chef mit einer weiteren Gehaltskürzung daherkäme, könnte der Arbeitnehmer kündigen und sich in Ruhe Gedanken über seine berufliche Weiterentwicklung machen." Das würde allerdings nur funktionieren, wenn das BGE hoch genug angesetzt wäre, betont Neumärker. In Deutschland wird derzeit über 1.000 Euro monatlich diskutiert. Interessant sei hierbei, dass das Grundprinzip des BGE Anklang und Befürwortende über das gesamte politische Spektrum und alle Einkommensklassen hinweg finde, aber in den etablierten Parteien und Interessengruppen dennoch eher zögerlich angenommen werde. „Es ist deshalb konsequent und für die repräsentative Demokratie Deutschlands durchaus zielführend, dass sich mit dem ‚Bündnis Grundeinkommen' eine monothematische Partei im September zum ersten Mal an der Bundestagswahl beteiligt."
Da die Verfassung es jetzt schon erlaube, das bedingungslose Grundeinkommen als Element des Sozialstaats einzuführen, dürfe auch experimentiert werden. Ein Vorteil, der laut Neumärker genutzt werden sollte: „Wir müssen unterschiedliche Varianten des BGE testen, um herauszufinden, welches Modell durchsetzungsfähig ist. Es geht aber nicht darum, va banque zu spielen, sondern darum, realistisch zu handeln und die Bevölkerung mit einzubeziehen."
Karl Justus Bernhard Neumärker hat seit 2004 die Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie an der Universität Freiburg inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind Ordnungspolitik, Konstitutionenökonomik und Sozialvertragslehre, politische Ökonomie wirtschaftspolitischer Reformen, Ökonomik sozialer Gerechtigkeit, ökonomische Nachhaltigkeitsforschung sowie Macht- und Konfliktökonomik.
(Albert-Ludwigs-Universität Freiburg | 07.09.2017)
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7. Sep 2017 - 12:13 UhrModell für Menschenwürde - Warum sich Ökonom Karl Justus Bernhard Neumärker für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland stark macht
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