Der Wirtschaft am südlichen Oberrhein geht es gut. Doch welche Voraussetzungen sind vonnöten, damit das so bleibt? Mit ihren Forderungen an die Landespolitik ist die Vollversammlung der IHK Südlicher Oberrhein in dieser Woche nach Stuttgart gereist, um mit der Wirtschafts- und der Finanzministerin sowie mehreren Sprechern der verschiedenen Landtagsfraktionen aktuelle Themen zu diskutieren.
„Ich finde, das ist eine ganz großartige Initiative, die Sie hier gestartet haben“, lobte Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut die zweitägige Aktion der IHK Südlicher Oberrhein. Die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau kommt selbst aus der Wirtschaft und kennt entsprechend die tagtäglichen Herausforderungen des Unternehmertums. Den badischen Gästen nannte sie einige ihrer Vorhaben für die Legislaturperiode, unter anderem ihren Einsatz für Baden-Württemberg als „wirtschaftsstärkster Region in Europa“ auch in Bundes- und europäischer Politik, die Qualifizierung von Frauen, Älteren und Migranten gegen die Folgen des demografischen Wandels, die Stärkung der dualen Ausbildung oder die Verbesserung der Gründungskultur. „Ich bin da sicher noch etwas unbekümmert, da ich noch nicht lange im Politikbetrieb bin“, sagte die CDU-Politikerin über ihre Konzepte. „Aber diese Frische möchte ich mir auch bewahren.“ Bei diesem Plan konnte IHK-Präsident Dr. Steffen Auer nur zustimmen: „Machen sie das.“
Die Sorgen um fehlende Fachkräfte oder die Frage nach der flächendeckenden digitalen Infrastruktur waren Themen, die Auer anschließend ansprach. „Ein Punkt, dessen Stellenwert bei unseren Unternehmerinnen und Unternehmern in den vergangenen Jahren enorm zugenommen hat, ist die wachsende Bürokratisierung, die unser Handeln immer schwerer macht“, sagte der Präsident. Die Vollversammlungsmitglieder hatten der Ministerin dazu eine ganze Reihe von Beispielen mitgebracht. So kritisierten der Freiburger Gastronom Toni Schlegel und Gerhard Knoll, Geschäftsführer von Ernst Knoll Feinmechanik aus Umkirch, die hohen Anforderungen im Brandschutz, die im Falle von Schlegel am Ende zum Scheitern eines Projektes geführt hatten - trotz bereits bewilligter Fördermittel. Sabrina Binz berichtete von ihren Erfahrungen mit Bürokratiehürden aus dem Bereich Entsorgung - ein Geschäftsfeld ihres Denzlinger Betriebs Paul Becker. „Die Auflagen sind wirtschaftlich fast nicht mehr tragbar, zumindest für die Kleinen in der Branche. Zudem sind die Vorgaben abhängig vom Landkreis ganz unterschiedlich.“
Zu der Aufgabe der Wirtschaft, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wollte Auer von der Ministerin wissen, wie es weitergeht, wenn die wirtschaftsministerliche Förderung der 37,5 Kümmererstellen, eine davon bei der IHK Südlicher Oberrhein angesiedelt, im Jahr 2018 ausläuft. „Wir brauchen Kontinuität.“ Hoffmeister-Kraut sagte, dass ihr Ministerium hier versuche, die Rahmenbedingungen zu schaffen, ohne jedoch ein Ungleichgewicht entstehen zu lassen, auch für eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung. „14.600 Flüchtlinge sind bereits in Arbeit, wenn auch oft nur in Helfertätigkeiten, dazu wurden in diesem Jahr schon 600 Ausbildungsverträge abgeschlossen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, lautete ihr erstes Fazit.
Nachmittags stand die Bildungspolitik auf der Agenda. Dazu hatte die IHK Südlicher Oberrhein Sandra Boser von der Landtagsfraktion der Grünen, Karl-Wilhelm Röhm von der CDU- und Dr. Stefan Fulst-Blei von der SPD-Landtagsfraktion sowie Dr. Hans-Ulrich Rülke, den Fraktionsvorsitzenden der FDP/DVP, eingeladen. Armin Stolzer, Geschäftsführer von Kasto Maschinenbau aus Achern, kritisierte den politischen Bildungsexpertinnen und -experten gegenüber die schulische Qualifikation der Auszubildenden. „Es kann doch nicht sein, dass wir durch Zusatzunterricht diese Defizite beheben müssen, um mit unseren Mitarbeitern wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Ihre Ansprüche an die Schulen nannte Heike Groen, Prokuristin bei Eishaar Kälte-Klima-Ladenbau in Gengenbach: „Wie die Jugendlichen bei einem Vorstellungsgespräch auftreten, sollten sie schon in der Schule lernen.“ Brigitta Schrempp, Geschäftsführerin von Schrempp EDV in Lahr berichtete, sie erhalte Bewerbungen, in denen die Anrede aus einem einfachen „Hi“ bestehen würde. „Wenn das Elternhaus die Kinder nicht unterstützen kann, muss das die Schule tun.“ Zu diesem Punkt sagte FDP-Politiker Rülke: „Die Defizite entstehen aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen. Und die laden wir dann alle bei der Schule ab.“ Sandra Boser nannte ihre Vorstellungen von Bildung: „Dazu gehört auch die Information, dass Bildung nicht nur zwischen dem sechsten und 25. Lebensjahr stattfindet, sondern dass wir lebenslang lernen.“ Röhm von der CDU erklärte, dass die Lehrerfortbildung auf der Aufgabenliste seiner Partei stehe. Für die Gemeinschaftsschule als Problemlösung sprach sich Fulst-Blei von der SPD aus. „Hier kann sich jedes Kind nach seinem Tempo entwickeln.“
Vertieft wurden die Diskussionen am Abend mit Landtagsabgeordneten aus dem Kammerbezirk, darunter neben Sandra Boser auch Thomas Marwein von Bündnis 90/Die Grünen sowie Dr. Patrick Rapp und Willi Stächele von der CDU, außerdem Gabi Rolland und Sabine Wölfle von der SPD. Ebenfalls am Abend dabei war Finanzministerin Edith Sitzmann, Bündnis 90/Die Grünen. Sie betonte die Bedeutung der Wirtschaft: „Wichtige Grundlage für ein gutes gesellschaftliches Klima ist Arbeit. Entsprechend hoch ist der Wert der Wirtschaft, sie trägt zum Wohle der Gesellschaft bei.“ Ihre neue Aufgabe als Finanzministerin bezeichnete sie als „schwierig“, fügte aber gleich hinzu, dass sie es „sehr gerne“ mache. Die Zusammenarbeit der Koalition laufe aus ihrer Sicht „ganz gut“. „Wir können zusammen etwas bewegen, wenn wir Ihre Unterstützung bekommen“, forderte sie die anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer auf.
Am zweiten Tag der landespolitischen Exkursion ging es noch einmal um die Wirtschaftspolitik. Dieses Mal diskutierten die Vollversammlungsmitglieder mit den wirtschaftspolitischen Sprechern Andrea Lindlohr (Bündnis 90/Die Grünen), Claus Paal (CDU), Dr. Boris Weirauch (SPD) und Gabriele Reich-Gutjahr (FDP/DVP). Wieder war die wachsende Bürokratisierung das dringlichste Thema der Unternehmerinnen und Unternehmer. Manches Beispiel führte auch bei den Politikern zu Ratlosigkeit, wie der Bericht von Gerhard Hiss, Geschäftsführer von Fachmarkt Hiss in Eichstetten, über die Schlussabnahme seines Neubaus durch das Landratsamt 16 Jahre nach Fertigstellung. Oder die Erzählung von IHK-Präsident Auer, dessen Stahl-Hochregallager laut zuständiger Behörde mit einer Sprinkleranlage ausgestattet sein müsse, während es diese Vorgaben für Stahlverkäufer in Nordrhein-Westfalen nicht gebe. „Jedes Landratsamt interpretiert Verordnungen anders“, schilderte Spediteur Oskar Dold aus Buchenbach seine Erfahrungen. „Meines Erachtens fehlt da jedes Gefühl.“ Andreas Kempff, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, brachte die vielen Beispiele schließlich auf den Punkt: „Bei der Auslegung der Landesbauordnung wird es sehr schnell unverhältnismäßig.“
Alle vier Politiker baten die Besucher aus Baden schließlich, ihre Beispiele auch über den Besuch in Stuttgart hinaus an sie weiterzugeben. Dies soll nun über die IHK Südlicher Oberrhein geschehen. „Gerade in Sachen Bürokratieabbau müssen wir als IHK uns verstärkt einsetzen, damit es zu Verbesserungen kommt“, so Rückblick und Vorsatz von IHK-Präsident Auer am Ende der Reise.
(Presseinfo: IHK Südlicher Oberrhein, 21.10.2016)
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Überregional - Stuttgart
21. Oct 2016 - 23:42 Uhr„Großartige Initiative“- Die Vollversammlung der IHK Südlicher Oberrhein zu Gesprächen mit Ministerinnen und Landtagsabgeordneten in Stuttgart
Mit ihren Forderungen an die Landespolitik war die Vollversammlung der IHK Südlicher Oberrhein in Stuttgart.
Foto: IHK Südlicher Oberrhein
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